Die Corona-Krise als Chance für den Ausstieg aus dem
Tierversuch
Sehr geehrte Frau Bundesministerin Klöckner,
sehr geehrte Frau Bundesministerin Karliczek,
die Corona-Krise ist eine Zäsur. Nie zuvor hat ein Ereignis
so drastische Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und Wirtschaft gehabt. Diese
Pandemie müsste auch auf wissenschaftlicher Ebene der Weckruf für einen
Neuanfang sein. Ein „Weiter so“ darf es nicht geben und würde uns immer weiter
in die Sackgasse der extrem mangelhaften und ineffizienten Testmethode
Tierversuch führen. Deswegen fordern wir Sie auf, jetzt die Weichen zu stellen:
Für den Ausstieg aus dem Tierversuch und eine moderne humanbasierte Forschung.
Im Rahmen der Ratspräsidentschaft hat Deutschland zudem die Möglichkeit – nein,
die Pflicht – diesbezüglich auch in Europa ein Zeichen zu setzen. Die
Corona-Krise hat die ganze Welt im Griff. Viele Menschen klammern sich mehr
denn je an die Vorstellung, dass nur mithilfe von Tierversuchen geeignete
Medikamente entwickelt werden können. Große Teile der Wissenschaftswelt
suggerieren die Dringlichkeit der Suche nach „geeigneten Tiermodellen“, wobei
die Tatsache außer Acht gelassen wird, dass ein künstlich krank gemachtes,
genmanipuliertes Tier nie die Situation eines erkrankten Menschen widerspiegeln
kann. Eine tiefe Verwurzelung in der tierexperimentellen Forschung lässt die
meisten Wissenschaftler an diesem überholten System festhalten – zu Unrecht,
wenn man sich die Zahlen und Fakten ansieht. Rund 95% der neuen Medikamente,
die im Tier für wirksam und sicher befunden wurden, erreichen keine Marktreife
– entweder zeigen sie beim Menschen keine erwünschte Wirkung oder haben
erhebliche Nebenwirkungen.
Dieser gesamte Prozess der „Modellfindung“ und Forschung
am Tier verschlingt neben Geld vor allen Dingen auch Zeit – Zeit, die wir in
der aktuellen Situation nicht haben. Dass es bei einem weiteren Festhalten an
diesem System in absehbarer Zukunft keinen Impfstoff geben wird, verdeutlicht
die Tatsache, dass wir nach wie vor gegen das verwandte SARS-Virus, welches
2002 eine Pandemie auslöste, keinen Impfstoff haben. Nach 10 Jahren erfolgloser
Tierversuchs-Forschung wurde diese fallen gelassen mit dem fadenscheinigen
Argument, dass die Krankheit nicht mehr auftritt.
Schon jetzt aber ist klar, dass
SARS-CoV-2 nicht einfach verschwinden wird. Therapie und Impfstoff müssen
gefunden werden – aber Tierversuche sind unzuverlässig, teuer und dauern zudem
zu lange. Demgegenüber stehen humanbasierte Methoden, die selbst das
Max-Plack-Institut für Infektionsbiologie als „ideale Testsysteme“ bezeichnet. Menschliche Lungenorganoide können mit dem
Virus infiziert und auch erfolgreich behandelt werden. Zur Erprobung von
Impfstoffen eignen sich diese Modelle in Form von Multi-Organ-Chips ebenfalls,
mit dem Lymphknoten-auf-dem-Chip können auch Immunreaktionen des menschlichen
Körpers auf einen potenziellen Impfstoff simuliert und untersucht werden. Es
ist Zeit, diese realitätsverzerrenden Aussagen über angebliche
Tierversuchseffizienz richtigzustellen und sich für eine humanbasierte,
innovative Forschung einzusetzen.
Was die Bundesregierung in den letzten Jahren
diesbezüglich getan hat, ist nicht einmal ansatzweise zufriedenstellend. Eine
Förderung der 3R-Forschung (zumal diese nur die „Verbesserung“ und „Reduzierung“
von Tierversuchen vorsieht anstatt den tatsächlichen Ersatz) von unter 1%
verglichen mit der Finanzierung der tierexperimentellen Forschung ist ein
Armutszeugnis. Eine Umschichtung der Gelder als Teil eines umfassenden
Ausstiegs-Konzepts ist dringend erforderlich. Die neuen, tierfreien Methoden
haben sich trotz unzureichender Finanzierung innerhalb nur eines Jahrzehnts
rasant entwickelt. Es wäre unverantwortlich den Menschen und Tieren gegenüber,
nicht die bestmöglichsten Optionen zu unterstützen. Darüber hinaus werden
gerade viele Gelder für die Corona-Forschung generiert – es ist auch Aufgabe
der Politik, diese sinnvoll einzusetzen. Wir fordern Sie daher auf, Ihren
Standpunkt und den Ihrer Partei kritisch zu überprüfen und die aktuelle
Situation zu nutzen, um die Weichen für eine rein humanbasierte Forschung ohne
Tierversuche zu stellen. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit gekommen, den
Paradigmenwechsel mit einem konkreten Ausstiegsplan einzuleiten?
In Erwartung Ihrer Antwort verbleiben wir mit freundlichen
Grüßen
Christina Ledermann Vorsitzende Bundesverband der
Tierversuchsgegner e.V.
Dr. med. Ines Lenk Vorsitzende Ärzte gegen Tierversuche e.V.
Quelle (1) Herrman T: Ein
künstliches Lungenmodell als Testsystem für ein Corona-Medikament. Max-Planck-Gesellschaft,
9.4.2020
https://www.mpg.de/14672877/alveolaere-epithelien-als-modell-fuer-eine-corona-infektion
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